Ein anderer Modus: Memes und das generische Bild

Aria Dean

Zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Textes sind Memes zunehmend schwieriger zu definieren. Die Grenzen zwischen dem, was wir Meme nennen, und dem, was lediglich viraler Content ist, verschwimmen. Die als Meme bekannten, populären und über die digitalen Medien weithin verbreiteten Kulturobjekte einte noch bis vor kurzem ein leicht zu erkennendes Format: Sie sahen aus, wie aus Twitter kopiert, und zeigten plakative Schriftzüge auf niedrig auflösenden Bildern. Allerdings haben sich die formalen Qualitäten von Memes in den letzten Monaten immer mehr aufgelöst. Das klassische Modell ist weiterhin im Umlauf, hat aber zahllose Ableger und Mutationen hervorgebracht. In struktureller Hinsicht jedoch ist trotz dieser Veränderungen das Meiste beim Alten geblieben: Das Meme, in all seinen Entwicklungsstufen, von seiner Kindheit als Image-Macro bis zu seiner Mündigkeit, „erweckt den Anschein von Individualität, ist aber vollständig entindividualisiert.“1 Was Memes betrifft, könnte der Titel dieser Ausstellung gar nicht passender sein: Kein Bild ist eine Insel.

Eva und Franco Mattes, Ceiling Cat, 2016 © Eva and Franco Mattes, courtesy Carroll/Flechter, London

Im vergangenen Jahr habe ich mich in einem Essay mit Memes und ihrem Verhältnis zur afroamerikanischen Kultur beschäftigt.2 Darin vertrat ich die Position, dass sich in Memes und viralem Content ein afro-diasporisches kollektives Sein manifestieren könnte. Die Aussage war komplex und diente nicht unbedingt dem Zweck, die Grenzen von Black Culture im Netz konkret abzustecken, sondern vorrangig dazu, eine Beziehung zwischen Blackness und Memes auf ontologischer Ebene aufzuzeigen. Der Dichter und Theoretiker Fred Moten schreibt, dass wir – so wichtig es ist, Blackness im Bezug zur Geschichte von Rassismus und Gewalt gegenüber der schwarzen Bevölkerung zu betrachten – auch „erkennen müssen, dass Blackness als eine Art von ästhetischer und gesellschaftlicher Kraft nicht durch das strukturiert und bestimmt wird, was man den Schwarz-Weiß-Gegensatz genannt hat.“ Er fährt fort: „Blackness ist das andere (Un)Ding“, es zeige eine andere Lebensweise auf, „einen anderen Modus, auf dieser Erde zu leben“.3 Wenn das der Fall ist, und wenn wir anerkennen, dass eine gewisse Beziehung zwischen Blackness und Memes besteht, würde ich gerne argumentieren, dass Memes ebenfalls „eine andere Lebensweise“ aufzeigen. Oder vielmehr, dass Memes eine andere Art und Weise des „Seins“ auf dieser Erde aufzeigen oder verkörpern, eine Seinsweise, die die uns bekannte Ontologie des Bildes stört. An dieser Stelle möchte ich das Thema Blackness für einen Moment beiseite lassen und meine Aufmerksamkeit verstärkt auf das Meme als Struktur lenken, sowie auf das Konzept des „Generismus“ von „Non“-Philosoph François Laruelle, ein Phänomen, das – wie ich glaube – eine ganz ähnliche Kraft wie Blackness entfaltet. Meines Erachtens praktizieren Memes eine generische Logik oder Ontologie im Sinne Laruelles.

François Laruelle hat sich die Aufgabe gesetzt, zu erhellen was er als „Non-Philosophie“ bezeichnet. Seine These lautet: „Philosophie ist eine große Illusion.“4 Er schreibt: „Die Dualität des Diskreten und des Kontinuierlichen, des Mathematischen und Philosophischen [...] ist eine historische Konstante und durchdringt das gesamte westliche Denken. Das Diskrete beansprucht für sich regelmäßig den Sieg, auch wenn das Kontinuierliche stets überlebt. [...] Non-Philosophie ist auch eine Möglichkeit, dieses Überleben zur Kenntnis zu nehmen, ohne vorzugeben, die eine Seite würde die andere vernichtend schlagen. Stattdessen verknüpft die Non-Philosophie jede der beiden Seiten mit einer Instanz, die weder das Kontinuierliche (vorherrschend in der Philosophie) noch das Diskontinuierliche (vorherrschend in der Wissenschaft) ist.“<sup5

Obwohl es viele andere Aspekte und Anwendungsmöglichkeiten von Laruelles Non-Philosophie gibt, interessiert mich vor allem das prekäre Gleichgewicht von Diskretem und Kontinuierlichem, eine Eigenart, die er als „das Generische“ bezeichnet. Das Generische ist eine Logik, ein Stil, eine Ästhetik und eine Wissenschaft und wird von Laruelle als eine Antwort auf den Hang der Philosophie zur Distinktion dargestellt. Da er noch vor der Existenz des kommerziellen Internets begann, das Generische zu theoretisieren, hatte er dabei wohl kaum Memes oder ganz allgemein die Zirkulation von Bildern im Internet im Sinn. Allerdings entsprechen Memes durchaus Laruelles scheinbar paradoxer Beschreibung des Generischen, die darauf abzielt, eine abstrakte Version des vorgeblichen Konflikts zwischen Diskretem und Kontinuierlichem zu schlichten. Er benennt vier Eigenschaften des Generischen:

„Es gibt Konstanten im generischen Stil. Die erste ist eine Art durchschnittliche Universalie oder ein Mittelweg zwischen dem „Einzig-Ganzen“ und Einzigartigkeit oder Singularität: Das Generische ist beschränkt, die Extreme des Ganzen und des Einzelnen im Verhältnis zum Ganzen schließt es aus. Die zweite Konstante ist die Eigenschaft des Generischen, eine Vielzahl verschiedenartiger Akte oder Eigenschaften zu unterstützen, unter anderem wissenschaftliche und philosophische Gedanken: Das Generische hat Erweiterungspotenzial, allerdings ohne Anspruch auf Totalität oder Singularität, und ist daher unter-determiniert, nicht-absolut. Die dritte Konstante ist seine genealogische oder kritische Kraft, die Illusion oder den Anschein des Ganzen zu erwecken. Die vierte ist, Wahrheit aus Wissen zu schaffen, nämlich eine Form zögerlichen und mutmaßlichen Wissens (connaissance) aus vermeintlichen Fakten (savoirs). Letztendlich ist es ein Wissensprozess: Es ist weder ein philosophischer Akt noch ein Akt postulierten Wissens. Aber die zentrale Frage, die das Generische aufwirft, läuft daraus hinaus, zu wissen, wer oder was das eigentliche Subjekt einer Non-Standard-Ästhetik ist und welche Art von Wissen es generieren kann?“6

Das Meme in seiner gleichzeitigen Ganzheit und Individualität wird zum Modell für eine generische Bildontologie. Das geschieht zuerst auf der sprachlichen Ebene. Unter einem Meme verstehen wir eine singuläre Manifestierung des Bildobjekts, es kann allerdings auch ein ganzer Komplex verwandter Objekte sein. Taucht ein bestimmtes Meme ein einziges Mal in einem Instagram-Feed auf, dann ist es im Singular ein „Meme“. Aber es bleibt auch dann in der Einzahl, wenn es in Gänze referenziert wird und alle Bildobjekte miteinschließt, die eine erkennbare ästhetische oder konzeptuelle Verwandtschaft aufweisen. Jede Definition des Meme – von der Beschreibung durch Richard Dawkins als eine Einheit der kulturellen Übertragung oder Imitation bis hin zu seiner gegenwärtigen popkulturellen Erscheinungsweise – hängt von seiner Relationalität ab. Dabei führt die gegenwärtige Kultur zu einer Wandlung: Das Meme ist Übertragungseinheit und übertragene Botschaft, Struktur und Inhalt, Ausgangsmaterial und Produkt zugleich.

Das Meme demonstriert auch Laruelles zweite Konstante, ein „Erweiterungspotenzial, allerdings ohne Anspruch auf Totalität oder Singularität, und daher unter-determiniert, nicht-absolut.“ Häufig besteht der einzige Anspruch des Meme in seiner Anknüpfbarkeit (#relatable, #same), der sich bis hin zur Möglichkeit des Universalismus erstreckt, ohne sich je wirklich festzulegen. Hier lässt sich Hito Steyerls Beschreibung des „poor image“ als „ein Schnappschuss des emotionalen Zustands der Menge“7 anschließen. Statt selbst wahre Aussagen zu treffen, spiegelt das Meme eine Anzahl gegebener Wahrheiten an die Menge zurück.

Diese Qualität überschneidet sich mit Laruelles vierter Konstante, nämlich „Wahrheit aus Wissen zu schaffen“: Das Meme ist – wie wir in der amerikanischen politischen Sphäre allmählich erkennen – Bestandteil einer anderen Art von Wissensstruktur. Ob die Entwicklung hin zu zunehmend dezentralisierten Strukturen von Wahrheit und Ideologie, die wir in letzter Zeit beobachten konnten, nun tatsächlich auf das Meme als solches zurückzuführen ist oder nicht: Es hatte zweifellos Anteil daran, Vorstellungen eher extremistischer Kreise in Richtung des politischen Mainstreams zu verschieben. Laruelle schreibt, die generische Ästhetik sei „ein Wissensprozess“, und dasselbe lässt sich auch über Memes sagen. Memes als solche sind vielleicht nicht der Prozess, aber sie haben ihn zweifellos mitgestaltet.

Laruelle untergräbt seine eigene Definition des Generischen, indem er sagt, die zentrale Frage des Generischen sei, „wer oder was das eigentliche Subjekt einer Non-Standard-Ästhetik ist und welche Art von Wissen es generieren kann?“ Es wäre kurzsichtig, zu argumentieren, dass jeder, der sich an der Verbreitung von Memes im Internet beteiligt, ein solches Subjekt ist. Zu sagen, es bestünde darin, eine dezentralisierte und instabile Vorstellung der Wahrheit akzeptiert zu haben, würde bloß jenen Denkern schmeicheln, die sich mit der Postmoderne identifizieren. Wer oder was ist also das generische Subjekt?

Ich will nicht behaupten, dass ich diese Frage auch nur annähernd beantworten könnte oder wüsste, worauf Laruelle hier abhebt. Dennoch ist es aufschlussreich, einige künstlerische Praktiken der letzten zehn Jahre einmal unter diesem Aspekt zu betrachten. Stünden mir mehr Zeit und Raum zur Verfügung, gäbe es sicher viele, die es verdient hätten, sich im Hinblick auf diese Idee des Generischen eingehender mit ihnen zu beschäftigen – die Künstlerinnen und Künstler in dieser Ausstellung nicht ausgeschlossen. Einige von ihnen bedienen sich der Sprache der Stockfotografie, die wir wohl alle stark mit dem Generischen verbinden, andere haben ein besonderes Interesse an der Bildproduktion und -modifikation, deren Modifikation und abermaligen Modifikation. Ich denke dabei vor allem an Künstlerinnen und Künstler, die früher in erster Linie der Post-Internet-Art zugerechnet wurden, und die sich – auf dem Höhepunkt der Bewegung zu Beginn der 2010er-Jahre – entweder selbst mit etwas identifizierten, dass sie „generische Ästhetik“ nannten, oder aber von anderen als generisch bezeichnet wurden – manchmal als Beschimpfung vorgetragen, bisweilen als Kompliment, meistens als Feststellung mit spöttischem Unterton.

Jenseits des Meme gibt es freilich noch andere Dinge, die als Anschauungsobjekte für eine generische Ontologie geeignet wären. Dieser Text sollte also eher als eine Reihe lose geordneter Gedanken zum Thema betrachtet werden. In der Gegenwartskultur hat der Begriff „generisch“ immer noch einen gewissen verächtlichen Unterton und wird manchmal metonymisch verwendet, um einer Sache die Originalität abzusprechen. Mitunter wird er wohl auch benutzt, um Dingen einen Hang zum sterilen Universalismus zu unterstellen. Ich hege die Hoffnung, dass das Generische künftig im Sinne Laruelles als Möglichkeit erkannt wird, existierende Kunstwerke zu beurteilen, und vielleicht sogar diejenigen neu zu bewerten, die (zurecht) mit einem umgangssprachlichen Generismus verbunden wurden und ihnen neues Leben und politische Bedeutung einzuhauchen.

1 Aria Dean: „Poor Meme, Rich Meme“, in: Real Life Magazine, 25. Juli 2016, http://reallifemag.com/poor-meme-rich-meme/ (zuletzt aufgerufen am 5.8.2017).
2 Ebd.
3 Fred Moten: Poetics of the Undercommons. Sputnik & Fizzle Butte, Montana, 2016, S.30.
4 Alexander Galloway: Laruelle: Against the Digital. University of Minneapolis Press Minneapolis, Minnesota, 2014, S.8.
5 François Laruelle: „L’ordinateur transcendantal“, Homo Ex Machina. L’Hartmann Paris 2005, S.13.
6 François Laruelle: The Generic Orientation of Non-Standard Aesthetics. Vortrag, University of Monnesota, Minneapolis, Minnesota, 12. November 2012.
7 Hito Steyerl, “In Defense of the Poor Image,” in e-flux journal, Nr. 10, November 2009, http://www.e-flux.com/journal/10/61362/in-defense-of-the-poor-image/ (zuletzt aufgerufen am 5. August 2017).

Aria Dean ist Künstlerin, Autorin und Kuratorin und lebt in Los Angeles (US). Zurzeit ist sie als kuratorische Assistentin für Net Art und Digital Culture bei Rhizome tätig. Ihre Texte wurden in Artforum, Art in America, Mousse Magazine und anderen Publikationen veröffentlicht. Ausgestellt hat sie zuletzt bei Arcadia Missa (London), Chateau Shatto (Los Angeles), Veronica (Seattle) und The Knockdown Center (New York). In Los Angeles leitet sie außerdem den Projektraum As It Stands.