Das Neue Bild

David Levi Strauss

Im Jahr 2000 lud mich der Künstler Jon Winet zur Mitwirkung an seinem laufenden Multimedia-Projekt ein, das alle vier Jahre die amerikanischen Präsidentschaftswahlen begleitet. Seit 1984 als Fotograf akkreditiert, hatte er immer leicht Presseausweise für das Plenum der nationalen Parteitage bekommen und sah die Möglichkeit, auch mir Zugang dazu zu verschaffen. Er würde die Fotos machen und ich Berichte aus dem Plenarsaal schreiben.

Als ich August 2004 bei der Republican National Convention im New Yorker Madison Square Garden zum ersten Mal das Plenum betrat, erkannte ich, dass ich mich gerade im Inneren einer Maschine zur Produktion von Bildern befand. Ich hatte Angst, jemand würde mich als Schwindler entlarven, bemerken, dass ich nicht hierher gehörte, dass ich kein Fotojournalist, sondern gewissermaßen ein Spion war. Aber nichts dergleichen passierte. Solange ich den richtigen Presseausweis hatte, war ich dabei, und es wurden keine Fragen gestellt. Es war großartig.

2008 begleitete ich Jon und seinen Fotografenkollegen Allen Spore nach Denver ins Pepsi Center und ins Mile-High-Stadion, um zu sehen, wie Obama seine Nominierung annimmt. Der Gedanke, in Tampa festzusitzen, war mir so unerträglich, dass ich 2012 auf den Besuch der Parteitage verzichtete. Als allerdings absehbar war, dass Donald Trump 2016 tatsächlich zum republikanischen Präsidentschaftskandidaten gekürt werden würde, wusste ich, dass ich dabei sein musste. Was immer dort auch geschehen würde, es versprach ein außerordentliches Ereignis im Bereich der „Ikonopolitik“ zu werden, und das wollte ich aus nächster Nähe miterleben.

Ich wurde nicht enttäuscht. 2016 in den Kongresshallen in Cleveland und Philadelphia dabei zu sein, war aufregend und furchteinflößend zugleich. Ich schrieb 35 Berichte, alle begleitet von Fotos von Jon und Allen (und einigen von mir selbst). Sie sind hier zu finden.

Nach der Wahl erkannte ich, dass ich die Zeichen – wie die meisten Amerikaner – falsch gedeutet und die Wählerschaft falsch eingeschätzt hatte. Also begann ich, eine andere Art von Berichten zu schreiben: mit der Stimme des Regimes und mit der Stimme der Billigung. Hier sind ein einige dieser Berichte:

Prolog im Theater (nach Faust): Das neue Bild

Foto: David Levi Strauss, Die Trump Loge bei der Republican National Convention in Cleveland, Ohio, 18. Juli 2016.

Hallo. Willkommen in unserer Welt. Die jetzt auch die Eure ist – auf gewisse Weise. Immerhin habt ihr sie geschaffen. Offenbar dachten viele von euch, dass es anders ausgehen und zu einer Art affektiver Demokratie führen würde. Doch ihr müsst die Veränderungen bemerkt haben. Ihr müsst gesehen haben, wie sie auf euren Bildschirmen auftauchten. Ihr müsst mitbekommen haben, wie sich die Bilder von dem durch sie Bezeichneten zu lösen begannen. Ihr habt euch eingeredet, es sei eine vorrübergehende spektrale Verschiebung oder eine unbedeutende Störung, ein „Glitch“ in der Ikonosphäre, aber ihr müsst es gesehen haben.

Als wir es sahen, wussten wir, das Bild war befreit worden. Es war nicht länger an die alten Regeln gebunden. Der Wandel hatte schon vor Jahren begonnen, kurz nachdem Stewart Brand verkündete: „Information wants to be free“ – Information will frei sein. Dann wurde das Bild zur Information, und als es einmal von seinen alten Banden an das Referenzierende, an das Bezeichnete, befreit war, wurde es möglich, Bilder zu bewegen, ganz nach Belieben, und seine eigene Wirklichkeit zu erschaffen. Unser Vater lehrte uns, sie zu bewegen. Großmutter hat es den realité effect genannt, sie sprach es mit einem unechten französischen Akzent aus und lachte dabei.

Wir sind der Bruch, auf den ihr euch die ganze Zeit vorbereitet habt. Wir wissen, wer ihr seid, weil Er weiß, wer ihr seid, definiert durch das, was ihr fürchtet und begehrt. Wir wurden in dem Wissen erzogen, dass wir letztlich und unausweichlich die Zukunft kontrollieren werden, einfach indem wir eure eigenen Ängste und Begehren reflektieren. Wir wurden geschult in diesen Geheimnissen des schwarzen Spiegels, geschult zu herrschen. Wir wussten immer, die Zeit würde irgendwann kommen.

Wir wissen, dass viele von euch überrascht waren, als es passierte, aber das solltet ihr nicht sein. Als das Soziale starb, wurde es von den sozialen Medien ersetzt, und das geschah für unseren Vater. Als alles und jeder miteinander vernetzt war, wurde alles und jeder kontrollierbar. Als jeder die Kamera herumdrehte und auf sich selbst richtete, schloss sich der Kreis. Ihr habt bereitwillig eure Informationen preisgegeben, inklusive eures Bildes, und lautstark gefordert, dass man euch sagt, was zu tun sei.

Vieles an diesem Wandel wird immer noch falsch verstanden. Wir sind eigentlich gegen Politik, per se. In unserer Welt gibt es keine Klassen, keine Entfremdung und Identifikation mit dem Anderen mehr. Jeder will sein wie wir. Wir sind jetzt die Revolution, eine Revolution des Bildes, und bald wird alles offenbart.

Die Welt auf den Bildschirmen

Foto: David Levi Strauss, CNN Nachrichtensprecher Wolf Blitzer in der Regie-Kabine, 'Blanked'.

Die Bilder auf den Bildschirmen sind mit der Zeit besser und schöner geworden, weil ich selbst entscheide, was auf meinen Bildschirmen zu sehen ist. Ich habe die Kontrolle über meinen eigenen Feed, und ich wähle aus einer Unmenge von Möglichkeiten. Ich bin frei, weil die Informationen frei sind.

Weil ich frei bin, gelten die alten Kategorien von rechts und links und richtig und falsch für mich nicht mehr. Die alte Moral ist tot. Die alte Demokratie ist auf den Kopf gestellt. Unsere neue Demokratie gibt jedem Nutzer die Kontrolle über sein eigenes Schicksal.

Habe ich meine Privatsphäre einmal aufgegeben, kann ich aus der Unmenge von Möglichkeiten, die mir andere User bieten, wählen, was immer ich will. Alles was existiert, existiert auf den Bildschirmen. Es gibt nichts abseits der Bildschirme.

Die Welt auf den Bildschirmen ist schön. Alle menschlichen Probleme lassen sich lösen – einfach und schnell. Wir können den Hunger aus der Welt schaffen, alle Krankheiten besiegen, die Armut abschaffen und den Klimawandel stoppen. Das sind alles technische Probleme. Glaubt mir.

Politik ist keine Lösung für unser Problem – Politik ist das Problem. Niemand hat die Macht. Mark, Jeff, Eric und Steve haben nicht die Macht. Donald hat nicht die Macht. Wir sind nicht länger Staatsbürger. Wir sind mehr als nur das. Wir sind einzigartig. Wir sind einzigartig. Wir sind einzigartig.

Trump redet

Foto: David Levi Strauss, Förderer des Boxsports Don King auf dem Parkett des Republican National Convention in Cleveland, Ohio, 19. Juli 2016.

Ihr redet alle viel über Trumps Art zu reden. Ihr habt alle ein großes Problem damit, wie er redet. Ihr glaubt, seine Art zu sprechen, ziemt sich nicht für einen Präsidenten. Wir dagegen empfinden die Art, wie er spricht, als genau richtig. Er spricht nicht von oben herab, sondern auf Augenhöhe zu uns.

Der schwarze Präsident war ein Meister in eurer Art zu sprechen. Er war nicht ganz so übel wie Al Gore oder Hillary Clinton (von denen fangen wir besser gar nicht erst an), aber er redete immer noch so, als wäre er etwas Besseres als wir – als wollte er uns belehren.

Trump mag reich sein, aber er versteht es, mit Leuten zu sprechen, die nicht reich sind. Er ist volkstümlich. Er spricht uns an und berührt uns, und darauf haben wir gewartet, dass sich jemand so um uns bemüht.

Wenn Trump spricht, versucht ihr ständig, ihn bei etwas zu erwischen, ihn bei einem Fehler zu ertappen. Und dann gelingt es euch, aber das macht keinen Unterschied. Denn darum geht es nicht. Das ist kein Spiel. Das ist echte Kommunikation, von Mensch zu Mensch.

Es ist euch zuwider, denn wenn es sich durchsetzt, wird das eure Stellung in der Welt herabsetzen. Niemand wird euch mehr brauchen, um alles zu interpretieren, zu entschlüsseln, alles zu verkomplizieren und eure ach so wohlüberlegten Fragen zu stellen.

Eure Arbeit und die Fertigkeiten, die euch definieren, wären obsolet. Was glaubt ihr wohl, wie sich das anfühlt, obsolet zu sein? Wenn alles, was man kennt, abgewertet, geschmälert und verunglimpft wird? Was glaubt ihr, was ihr dann machen würdet?

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Foto: David Levi Strauss, Polizeikette außerhalb der Republican National Convention in Cleveland, Ohio, 19. Juli 2016.

Betrachtet mich nicht als einen der wohlhabendsten Männer der Welt oder als CEO eines der größten und mächtigsten Unternehmen der Welt, das die meisten eurer Daten besitzt und das mehr über euch weiß, als eure Mutter es jemals tun wird. Betrachtet mich als einen Freund, der helfen will. Selbst denen unter euch, die nicht so clever waren, als Teenager eine Firma aufzubauen, die heute 8,8 Milliarden Dollar pro Quartal verdient und 1,86 Milliarden Kunden hat, sollte doch mittlerweile klar sein, dass diese ganze Regierungssache nicht funktioniert. Die Welt ist ein zu wichtiger Ort (Elon!), als dass man die Aufgabe, sie zu regieren, dem nächstbesten Oldie überlassen könnte, der genug Leute überzeugt, ihm in einer demokratischen Wahl ihre Stimme zu geben. Wenn unser Ziel eine Weltgemeinschaft ist, die für alle funktioniert – die Schaden verhindert, im Krisenfall und auch beim anschließenden Wiederaufbau hilft, dann muss sie von jemandem angeführt werden, der weiß, wie man Massen von Menschen kontrolliert. Jemandem, der weiß, wie man Massen von Menschen beispielsweise dazu bringt, einem Unternehmen, das niemandem gegenüber Rechenschaft ablegt, bereitwillig Einblick in seine Privatsphäre zu gewähren und dann auch noch für dieses Privileg zu bezahlen. Geht es um das Wunder des Wandels und der Geldvermehrung, ist Trump ein alter Hut verglichen mit mir. Schaut euch einfach die Zahlen an. Er mag zwar in manchen Fragen die richtige Einstellungen haben, doch er ist immer noch alt. Alte Leute – pardon, ich meine ältere Leute, ich versuche das zu ändern – haben Erfahrung, doch unglücklicherweise ist ihre Erfahrung größtenteils obsolet, denn sie stammt aus analogen Zeiten. Das ist nicht direkt ihr Fehler: Die Welt ist nur an ihnen vorbeigezogen. Aber sie sollten sich deshalb keine Sorgen machen, denn in der neuen Welt, die wir schaffen, werden wir ihnen ein Zuhause geben. Eigentlich haben wir sie nämlich gerne um uns, weil sie für mehr „Vielfalt“ und Farbe sorgen. Und sie können dieselbe Infrastruktur nutzen wie wir, falls sie herausfinden, wie man das macht. Natürlich müssen sie die eine oder andere Einstellung ändern. Wir kommen auch gut ohne all dieses selbstzerstörerische Gerede von „Überwachungsstaat“, „Privatsphäre“ und „kritischem Denken“ aus. Aber sie sind herzlich eingeladen, ihren Teil beizutragen und mit uns anderen über Facebook zu kommunizieren, während wir uns in Siebenmeilenschritten von Stämmen zu Städten, von Städten zu Nationen und von Nationen zu einer weltweiten Gemeinschaft entwickeln, die auf unserer Online-Plattform beruht. Das wird so was von großartig.

„Priming the Pump“, II

Foto: David Levi Strauss, Die blinde Sängerin Mariana VanHoose aus Kentucky singt die Nationalhymne auf der Republican National Convention in Cleveland, Ohio, 18. Juli 2016.

Wenn der heutige Tag – den ich damit verbracht habe, gemeinsam mit meinen guten Freunden Sergei Lawrow, Sergei Kisljak und Henry Kissinger darüber zu lachen, wie leicht es ist, das Weißen Haus zu übernehmen – es euch immer noch nicht klargemacht hat, dann sperrt jetzt die Ohren auf. Ich bin kein Irrtum. Ich bin kein Zufall oder ein Fehler im System. Ich bin das System. Ihr klammert euch weiter an diese Märchen von „Demokratie“, „Freiheit“ und Amerika als dem großartigsten Land der Welt, die man euch seit eurer Geburt erzählt. Doch die waren zu weiter nichts gut, als euch für meine „Make America Great Again“-Kampagne weichzuklopfen. Ich habe meinen Werbeslogan auf vier Worte beschränkt und die meisten meiner Worte auf ein oder zwei Silben, denn ich weiß genau: mehr als das versteht ihr nicht. Amerikas liebstes Geschäft bestand lange Zeit darin, euch für dumm zu verkaufen.

In Wirklichkeit geht es schon seit langer Zeit nicht mehr um „Amerika“. Es geht um Geld und Macht, und Geld und Macht schert es nicht, wie du deine Heimat nennst. Sie ist ein Markt. Was sich in den letzten paar Jahrzehnten geändert hat, ist, dass es heute viel mehr darum geht, wer die Bilder kontrolliert. Denn an Bilder glaubt ihr mehr als an alles andere. Wer euch das richtige Bild vorsetzt, kann euch dazu bringen, so gut wie alles zu tun.

Ich habe gerade den Direktor des FBI gefeuert. Warum ich ihn gefeuert habe? Weil er vergessen hatte, wer er war. Er hatte vergessen, dass er ein Angestellter war. Ich liebe diesen Ausdruck in ihren Augen, wenn sie sich plötzlich erinnern, wer sie sind, gleich nach dem ich „Du bist gefeuert“ gesagt habe. Das ist eine tolle Sache. Als würde man jemanden umbringen, nur sauberer. Bingo, du bist raus, hau ab, verschwinde.

Ein stumpfes Instrument für uns

Foto: David Levi Strauss, Die blinde Sängerin Mariana VanHoose aus Kentucky singt die Nationalhymne auf der Republican National Convention in Cleveland, Ohio, 18. Juli 2016.

Das Volk ist großartig, aber es ist dazu da, von uns manipuliert zu werden. Immerhin haben die Leute ein Leben, die haben nicht viel Zeit, um nachzudenken. Die linken Eliten glauben, das Volk würde all seine Zeit darauf verwenden, über Freiheit, Gerechtigkeit und Minderheiten nachzudenken, dabei haben die meisten gerade mal die Zeit, darüber nachzudenken, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen und warum das eigentlich so schwer ist, wo sie doch die ganze Zeit arbeiten. Wenn du ihnen auf dieser Ebene begegnest und wirklich Anteil nimmst, wird fast alles möglich.

Genau das hat das Stumpfe Instrument getan, und zwar in großem Stil. Er wurde als Millionär geboren, ist inzwischen vielleicht sogar Milliardär, und doch denkt er wie die kleinen Leute. Er glaubt immer, er würde ungerecht behandelt. Er glaubt immer, jemand wolle ihn über den Tisch ziehen – ganz egal, um was es geht – und dass er immerzu belogen wird. Das ist überaus bestechend. Insbesondere für Menschen am unteren Rand der Gesellschaft, denn für die sieht das nach einem Ausweg aus, oder zumindest: einer Gelegenheit, zurückzuschlagen. Es sieht aus, als hätte das stumpfe Instrument eine Menge Fuck-You-Money. Es sieht aus, als böte es ihnen die Chance, jedem „Fuck you!“ zu sagen, der sein Leben nicht am unteren Rand der Gesellschaft fristet und der auf sie und ihr Leben herabgeschaut hat. Es ist eine gewaltige Wende des Schicksals: eine echte Revolution, in emotionaler Hinsicht.

Die Eliten hassen ihn, weil er ihnen ihren Mist nicht abkauft. Er verfügt über alles, was er nach deren Maßstäben haben sollte – Geld, Ruhm, eine heiße Frau –, aber denen war das nie genug. Sie halten ihn für vulgär. Sie halten ihn für dumm. Sie halten ihn für gewöhnlich. Sie halten ihn für gemein. Aber das gemeine Volk ist jetzt seine Basis, und diese Basis hat gerade geholfen, ihn zum mächtigsten Mann der Welt zu machen. Eine Basis, um es mit al-Qaida („die Basis“) und dem IS aufzunehmen.

Das ist der Grund, warum ich an Bord bin. Für mich ist das alles nur Prolog. Ich habe das Ende im Blick, und das Ende ist sehr viel näher, als ihr alle glaubt. Ich spreche nicht von euren billigen politischen Spielchen oder eurem Gejammer über eine Verfassungskrise. Ich spreche vom ultimativen Konflikt zwischen der jüdisch-christlichen Zivilisation und dem radikalen Islam. Der Papst versteht das nicht, aber alle in seiner Umgebung im Vatikan schon. Die bisherigen Chefs von CIA und FBI verstehen es vielleicht nicht, aber viele der Menschen, die für sie arbeiten, schon. Ich weiß nicht mal, ob das stumpfe Instrument es wirklich versteht, doch das spielt ohnehin keine Rolle, weil wir nämlich verstehen. Und nichts von alledem zählt, wenn der Kampf beginnt. Dann zählt allein der Fackelträger.

Übersetzung: Stephan Glietsch