Fragen an die Migrant Image Research Group

Migrant Image R esearch Group
Ein Bild – Ein Statement

Die Migrant Image Research Group besteht aus den Illustratoren Emilie Josso, Paula Bulling, Haitham El-Seht und Mohammed El-Seht, den Fotografen Andreas Langfeld und Karolina Sobel, den Künstlern Lisa Bergmann und Leon Kahane, der Fotohistorikerin Estelle Blaschke, den Grafikdesignern Elisa Calore, Ina Kwon, Valeria Malito und Helmut Völter sowie den Verlegern Jan Wenzel und Anne König, die gemeinsam mit Armin Linke das Projekt seit 2014 künstlerisch leitet.

Das Projekt der Migrant Image Research Group begann mit dem Gedanken, bereits existierende Bilder von Migrant*innen zu hinterfragen, indem andere Bilder gefunden werden und neue Wege deren Geschichten zu repräsentieren. Ihr Ziel ist es, die Bilder und Darstellungen von Migration zu erforschen, die in den Medien zirkulieren und Zeugnisse fernab der Massenmedien zu sammeln. Sie will die Wege und Funktionsweisen der Bilderwelten kontextualisieren, die im Zusammenhang mit der Migration über die Insel Lampedusa entstehen. Eine wichtige methodische Setzung bestand darin, Zeichnungen zu nutzen, um einen Außenblick auf die Fotografie zu gewähren. „Das fotografische Bild braucht die Zeichnung mehr denn je als ein Gegenüber. Der Akt der Übersetzung von Wirklichkeit, die Anteile der Interpretation, Stilisierung und Imagination, die jeder Zeichnung eingeschrieben sind, machen sie im gegenwärtigen historischen Moment vielleicht zu einem vertrauenswürdigeren Medium, zu einer Darstellungsweise, die der Komplexität der heutigen Welt angemessener ist als die Fotografie“, schreibt Jan Wenzel in dem Buch Lampedusa – Bildgeschichten vom Rande Europas.

Bevor die Publikation Ende Oktober 2017 bei Spector Books erscheinen wird, ist vorab auf der Biennale für aktuelle Fotografie eine Auswahl der Bildgeschichten und des Begleitmaterials zu sehen. Wir möchten diese Gelegenheit nutzen, die Mitglieder der Migrant Image Research Group um einen kleinen Bericht zu ihren Erfahrungen und wichtigsten Beobachtungen zu bitten.

Elisa Calore

Foto: Karolina Sobel, Lampedusa, Mai 2016 © Karolina Sobel

Vor dem Fotografieren trifft ein professioneller Fotograf wichtige Entscheidungen zu Motiv, Perspektive, Bildeinstellung, Aufbau, Betrachter. Wir wollten uns mit den verborgenen Fotos beschäftigen, zu einem Thema das unsere Medien dominiert und die von all jenen Fotograf*innen gemacht werden, die den oben genannten Entscheidungen nicht viel Aufmerksamkeit schenken.

Wir erreichten die Insel Lampedusa, suchten nach Menschen, die mit Migranten zu tun hatten, nach Migranten selbst, wir unterhielten uns mit ihnen und baten sie, ihre persönlichen Archive zu öffnen. Da hinter einem Foto eine Beziehung zwischen dem Fotografen und dem Subjekt steckt, basiert unsere Forschung auf Beziehungen. Einer der wichtigsten Momente war das Gespräch mit Paola La Rosa, einer starken sizilianischen Frau, die uns bat das Treffen nicht aufzuzeichnen. Sie kannte das Medium perfekt und war sich darüber bewusst, genau auf das acht zu geben, was gerade in dem Diskurs ausgeblendet wird: Nämlich die Migranten selbst zu befragen. Sie empfahl uns: Wenn ihr über jemanden berichten wollt, dann tretet in direkten Kontakt mit ihm. Fotografien zeigen uns nicht nur das Motiv, sie bringen uns dazu uns intensiv damit zu beschäftigen. Fotografien verlangen nach einer Handlung. Sie können das ändern, was wir sehen, abhängig von dem Grund für das Foto, aber auch von den Betrachter*innen.

Anne König

Foto: Foto von dem Zivilflugzeug Moonbird während einer Rettungsaktions im Mittelmeer 29. April 2017 © Moonbird

Während des Interviews mit dem Forscher und Filmemacher Charles Heller zeigte er uns ein Foto, das auf den ersten Blick unspektakulär schien. Es war ein Bild von einem Boot im Mittelmeer, das 2017 zu Ostern von einem Zivilflugzeug aus aufgenommen wurde. Dieses spezielle Boot stand in Kontakt mit der Initiative Watch the Med Alarm Phone. Aber sie verlor den Kontakt und das Boot wurde nicht entdeckt - es war verloren. Das Zivilflugzeug nahm das Bild auf und konnte es mit den Koordinaten an eines der zivilen Bereitschaftsboote schicken, so wurde das Schlauchboot gerettet. Das Ziel dieses Flugzeugs war es nicht, ein Bild zu erzeugen, vielmehr war das Bild Teil der Rettungsaktion, wie Charles Heller es uns erklärte. Ich mag dieses eine Bild, weil es aufgenommen wurde, um Leben zu retten und nichts anderes.

Haitham El-Seht und Mohammed El-Seht

Aus: Von Kairo nach Rashid © Haitham El-Seht, Mohammed El-Seht

Als Comiczeichner haben wir es leichter, weil die Geschichte sich aus der Technik des Comics heraus entwickelt. Die Herausforderung dieses Projekts bestand darin, dass es am Anfang nur auf Fotografien basierte. Später gab uns diese Kombination die Möglichkeit, das Thema Migration eingehender und von unterschiedlichen Standpunkten aus zu betrachten.

Paula Bulling

Skizzenbuch von Paula Bulling © Paula Bulling

Als Illustratorin beschäftige ich mich seit mehreren Jahren mit den Themen Migration und Asyl. Bei der Illustration der Wege einer Ware für das Lampedusa-Buch bestand die größte Herausforderung darin, die vielen verschiedenen fotografischen Quellen in einer grafischen Handschrift zu kombinieren, die Jahrhunderte, Länder und Orte verbindet, die genauso unterschiedlich wie das Innere eines Fischerboots und die Facebook-Zentrale sind.
Ich wurde oft gebeten, die Reisen der Menschen über das Mittelmeer zu zeichnen, habe es aber immer abgelehnt. Ein Holzbrett in das Zentrum einer Geschichte zu rücken, erlaubte es uns, die Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, im wahrsten Sinne des Wortes.